Physik im Alltag – Die Überraschung aus der Mikrowelle

Die Küche ist fast schon zu klein: Auf der Spüle stapelt sich das Geschirr, das Gemüse brutzelt in der Pfanne und die Gnocchi sind auch schon gar. Auf dem Holzbrett wartet der Braten darauf, endlich geschnitten zu werden, und im Wohnzimmer warten fünf hungrige Gäste darauf, dass alles auf den Tellern angerichtet endlich hereingetragen wird. Auf den Tellern – den vorgewärmten Tellern. Mist! Wir wollten die Teller doch noch in den Ofen gestellt haben, aber jetzt ist es zu spät, das Gemüse wird schon langsam braun… „Stell die Teller doch einfach in die Mikrowelle!“ Der Rat des Freundes ist nett gemeint, aber die zwei Physiker in der Küche winken ab. „Das klappt doch nicht.“ „Warum soll das nicht klappen?“ fragt der Freund. „Ich mache das immer so.“ Mein Physikerinnen-Ich will schon anheben und von elektrischen Dipolen und Wechselfeldern reden, wird dann aber von meinem Gastgeberinnen-Ich gebremst und darauf hingewiesen, dass der Silvesterabend nicht der passendste Zeitpunkt dafür ist. Kurzerhand greift der Arm ein und stellt die Teller doch noch in den Backofen. Am Ende sitzen Gäste und Gastgeber zufrieden vor ihrem Essen und lassen es sich schmecken.

Neujahr. Die Küche ist immer noch zu klein: Auf der Spüle stapelt sich immer noch das Geschirr (ich bin erstaunt, wie viel wir davon besitzen) und die Gastgeber von gestern sitzen leicht verkatert davor. Man müsste mal anfangen zu spülen… Da fällt uns der gestrige Abend wieder ein und der Rat des Freundes mit der Mikrowelle. Wenn er seine Teller immer so erwärmt, ist dann am Ende doch noch was dran? Aber das geht doch eigentlich gar nicht –

Physikalischer Diskurs –

Ein Mikrowellenherd erzeugt von sich aus keine Wärme wie zum Beispiel ein Backofen. Die Wärme entsteht erst im Essen: Dort befinden sich Wassermoleküle, die aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen bestehen, H2O. Das Sauerstoffatom bindet die Elektronen stärker als die Wasserstoffatome, sodass auf der Seite des Sauerstoffs eine leichte negative Ladung vorliegt, auf der Seite mit den Wasserstoffatomen dagegen eine leicht positive Ladung. Man spricht von einem Dipol. In einem elektrischen Feld richtet sich der Dipol aus. Wechselt die Ausrichtung des elektrischen Feldes, ändert sich auch entsprechend die Ausrichtung des Dipols mit dem Feld. Eine Mikrowelle ist eine elektromagnetische Welle und damit ein elektrisches Wechselfeld, das sich ziemlich oft „dreht“: In unserem Mikrowellenherd mit 2,45 GHz, also 2450000000 Mal pro Sekunde. Die Wassermoleküle im Essen beginnen zu rotieren und stoßen dabei mit benachbarten Molekülen zusammen, es entsteht Reibungswärme.

Zurück in die Küche: Auf der einen Seite steht die Frage im Raum, ob man tatsächlich leere Teller in einem Mikrowellenherd erwärmen kann. Schließlich bestehen sie ja nicht aus Wasser und sollten deshalb von den Mikrowellen nicht beeinflusst werden. Auf der anderen Seite steht ein Berg von schmutzigem Geschirr neben der Spüle, dessen Zustand wiederum sehr wohl von heißem Wasser beeinflusst werden kann… Erneut greift mein Arm ein – der schließlich an einer Experimentalphysikerin hängt – und holt einen Stapel Teller aus dem Schrank. Dem Geheimnis geht man am besten mit einem Experiment auf den Grund. Die Teller verschwinden im Mikrowellenherd und werden dem elektrischen Wechselfeld ausgesetzt.
Während das heiße Wasser allmählich die Spüle füllt, ertönt plötzlich ein Knacksen. Kam das von den Tellern? Ich öffne die Tür und greife nach den Tellern – Autsch! Da habe ich mir doch glatt die Hand verbrannt! Fünf übereinander gestapelte Teller, einer heißer als der andere! Wie kann das sein?

Nachdem ich selber eine Weile rumüberlege (Liegt das vielleicht an der Glasur, in der möglicherweise noch ein Rest Wasser ist?), befrage ich das Internet. Nach kurzer Recherche finde ich eine Erklärung [1]: Ein gut glasierter Teller sollte sich in der Mikrowelle nicht erwärmen, da sich im Material keine Wassermoleküle befinden. Meine Teller sind zwar glasiert, aber beim genaueren Hinsehen sind feine Risse in der Glasur erkennbar. Dort tritt beim Spülen Wasser ein, das sich unter der Glasur sammelt und in der Mikrowelle erwärmt. Liegt es allein daran?
Blind auf diese Erklärung vertrauen möchte ich nicht.

Frei nach dem Motto „Meine Küche ist mein Labor“ setze ich eine kleine Versuchsreihe an, um dem Geheimnis der warmen Teller systematisch auf den Grund zu gehen. Wenn die Theorie mit dem Sprung in der Glasur und dem dadurch eintretenden Wasser richtig ist, müsste ja besonders viel Wasser dort in die Keramik eindringen, wo sich keine Glasur befindet. Ich untersuche einen Teller aus dem Schrank und werde fündig: Auf der Unterseite, wo der Teller auf dem Tisch steht.

Der rote Pfeil markiert die unglasierte Auflagefläche des Tellers.

Geschwind verschwindet dieser Teller im Mikrowellenherd und wird für einige Sekunden mit Mikrowellen bestrahlt. Anschließend unterziehe ich den Teller – zunächst in Ermangelung einer Wärmebildkamera – einer manuellen Temperaturmessung. In der Mitte ist er völlig kalt, genauso am äußersten Rand. Etwa einen Zentimeter um die oben erwähne Auflagefläche herum ist er dagegen merklich erhitzt. Zufall? Meine Messreihe erforderte einen weiteren Versuchsdurchlauf. Auch der nächste Teller mit ähnlicher Anatomie zeigt das gleiche Messergebnis: Kalte Mitte, warmer Rand.
Ich nehme einen weiteren Teller aus dem Schrank, diesmal einen ausgewiesen mikrowellengeeigneten.

Hierbei handelt es sich um einen ausgewiesen mikrowellengeeigneten Teller.

Der erste offensichtliche Unterschied zu den vorherigen Tellern besteht hierbei in der durchgehenden Glasur. Auch dieser Teller verschwindet für einige Sekunden in der Mikrowelle – und ist beim Herausnehmen völlig kalt. Liegt das nur an der Glasur?

An der Uni habe ich glücklicherweise die Möglichkeit, eine Wärmebildkamera zu nutzen. Ich stelle beide Teller für 15 Sekunden in die Mikrowelle, lege sie nebeneinander und schaue mir die emittierte Wärmestrahlung in der Wärmebildkamera an.

Links der Teller mit unglasiertem Rand auf der Unterseite, rechts der mikrowellengeeignete weiße Teller.
Das Bild in der Wärmekamera zeigt, dass der linke Teller deutlich mehr Wärme abstrahlt als der rechte. Auffallend ist beim linken Teller vor allem die kalte Mitte und der kalte äußere Rand, wohingegen um die unglasierte Auflagefläche herum am meisten Wärme zu erkennen ist.

Das Ergebnis ist eindeutig: Der gelbe Teller mit dem unglasierten Boden strahlt deutlich mehr Wärme ab als der durchgehend glasierte und mikrowellengeeignete weiße Teller.

Ich befragte zwei Porzellanhersteller [2][3], die auf ihrer Internetseite zwischen „Steingut“ und „Porzellan“ unterscheiden: Während Porzellan fast immer mikrowellengeeignet ist, sollte man das Steingut nicht in den Mikrowellenherd stellen, da es sich dort erwärmt. Als Grund wird die Porosität angegeben, also die Anzahl von „Hohlräumen“ im Material. Wie viele dieser Hohlräume sich im Material befinden, hängt sowohl vom Rohmaterial als auch von der Brenntemperatur ab. Bei einer höheren Brenntemperatur nimmt die Porosität ab, sodass Porzellan mit einer bis zu 650°C höheren Brenntemperatur eine wesentlich geringere Porosität besitzt als Steingut. In den Hohlräumen kann sich Wasser ansammeln, welches beispielsweise durch feine Risse in der Glasur oder auf der Unterseite der Teller in das Material dringt. Dieses Wasser wird dann durch die Mikrowellen erhitzt.
Generell sollte man aber auch bei der Glasur des Tellers darauf achten, welche Bestandteile diese besitzt. Bei metallhaltigen Glasuren kann es im Mikrowellenherd zu Funkenbildung kommen – Omas Teller mit Goldrand gehört also definitiv nicht da rein!

Das Geheimnis um die warmen Teller aus der Mikrowelle scheint gelüftet und ich sehe den Mikrowellenherd nun in ganz neuem Licht: als geeigneten Detektor für den berüchtigten Sprung in der Schüssel.

In diesem Sinne wünsche ich allen Lesern ein frohes neues Jahr!


Jana Bürgers

[1] www.praxistipps.focus.de

[2] www.holst-porzellan.de

[3] www.ritzenhoff-breker.de

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